Charles Davis

Pathways

Vorgeschichte

Alles begann damit, dass mir der Flötist Charles Davis unbekannterweise eine seiner CD-Produktionen auf dem renommierten Klangräume-Label zur Rezension in image hifi zusandte. Bald darauf trudelte eine zweite ein, die er jedoch mit einer anderen Gruppe eingespielt hatte. Und deshalb dauerte es einige Zeit, bis es dem begeisterten Rezensenten dämmerte, dass es eben dieser Charles Davis war, der sowohl bei Captured Moments als auch bei Four Or More Flutes eine entscheidende Rolle spielte. Das Erscheinen der dritten Scheibe, diesmal vom Ensembles Chanchala, kündigte der Flötist dann telefonisch an. Und beim Avisieren der vierten CD verabredeten wir, uns einmal bei einem Auftritt zu treffen. Als dann ein Konzert in der Nähe vom München anstand, war meine Begeisterung für alles, was mit Tonband- und Aufnahmetechnik zusammenhing, so stark angewachsen, dass ich ganz dreist einmal fragte, ob es erlaubt sei, den Auftritt nur so zum privaten Spaß auf Viertelzoll-Band aufzuzeichnen. Charles Davis und seine Mitspieler bei Captured Moments, Sven Götz (Gitarren) und Steffen Hollenweger (Kontrabass) willigten spontan ein. Der Mitschnitt des Konzertes im Kallmann-Museum in Ismaning im April 2007 machte dann allen Beteiligten Lust auf mehr. Die Musiker waren nach einer Umbesetzung in dieser Formation zum ersten Mal aufgetreten und sahen durchaus noch einige Verbesserungsmöglichkeiten für das Zusammenspiel. Und meine Gattin, die sich während der Aufnahmen um die beiden Studer-A810-Bandmaschinen kümmerte, während ich mich der Balance zwischen den Instrumenten und ihrer Verteilung auf zwei Kanäle widmete, und ich waren fest davon überzeugt, dass auch klangtechnisch noch eine deutliche Steigerung möglich sei. So verabredeten wir eine weitere Aufnahme für den September 2007 im Barocksaal des Klosters in Bernried.

Die Aufnahmen

Aber trotz zweier Raummikrofone lieferte die natürliche Akustik zu wenig Hall, um die Flöten so klingen zu lassen, wie es Charles Davis vorschwebte. Daher experimentierten wir mit einer klassischen Zweimikrofonaufnahme mit einer Jecklin-Scheibe und zwei Neumann-Gefell-Kugelmikrofonen in der Alten Kirche in Romanshorn: Der Hall war für die Flöte nahezu ideal, für Bass und Gitarre aber eindeutig zuviel des Guten. Da inzwischen bei den Musikern der Wunsch, eine Live-CD einzuspielen, herangereift war, stand für uns das weitere Vorgehen fest: Wir würden eines der kommenden Konzerte mit einer Nahmikrofonierung aufzeichnen und den gewünschten Raumeffekt beim Mastering auf möglichst analoge Art hinzufügen. Ende Januar 2008 gaben Captured Moments dann im Kellergewölbe der evangelischen Kirche in Hohenwettersbach ein Konzert, das wir auch wieder mit zwei Studer A80 im versetzten Betrieb aufzeichneten, damit uns bei den nötigen Bandwechseln kein Song verloren ging. Schon vor dem Auftritt in Bernried hatte Charles Davis nach einem kurzen Vergleich das UM 70S von Microtech Gefell für seine Flöte ausgesucht, da es eine noch geringere Präsenzanhebung aufweist als das NTK Röhrenmikrofon von Røde. Sven Götz verwendet für seine Gitarren beim Homerecording gleich zwei TLM 103 auf dem Hause Neumann. Da mein Fundus ebenfalls ein Pärchen dieser eher hell timbrierten Mikros umfasst, konnten wir bei den Gitarren auf Bewährtes zurückgreifen. Sven Hollenwegers warm singender Bass-Sound hatte schon gleich in Ismaning ganz hervorragend mit einem der NTKs harmoniert. So brauchten wir weder bei der Mikrofonierung noch bei der übrigen Technik das geringste Risiko einzugehen. Und bei der Nähe der Mikros zu den Instrumenten würde der unbekannte Raum auch keine allzu großen Unwägbarkeiten beisteuern können. Kein Wunder also, dass das bestens eingespielte Trio gleich sechs Songs dieses Abends für die CD auswählte.

Die Nachbearbeitung

Die übrigen sechs Titel wollte Charles Davis zu meinem Entsetzen allerdings den Bändern aus Bernried entnehmen. Die waren zwar mit denselben Mikrofonen für die Instrumente, jedoch – wie bereits erwähnt – auch mit zwei zusätzlichen Raummikros aufgezeichnet worden. Und deren Beitrag zu dem vor Ort erstellten Zweikanal-Mix konnte ja nachträglich nicht mehr entfernt werden. Dass die beiden Song-Blöcke aus den unterschiedlichen Aufnahmeumgebungen minimal anders klingen würden, war für den Bandleader kein Grund, die einmal getroffene Songauswahl noch einmal zu revidieren. In beiden Fällen wünschte er sich jedoch deutlich mehr Hall für seine Flöte. Und das bedeutete für die Nachbearbeitung, die beiden doch recht unterschiedlich wirkenden Mitschnitte so mit Hall zu hinterlegen, dass sie danach möglichst ähnlich klängen. Dazu werden die Bänder mit den Studer A810 abgespielt, mit denen sie auch aufgenommen wurden. Das Signal durchläuft einen Symetrix Compressor Limiter mit sehr konservativer Einstellung, den ich natürlich weggelassen hätte, wenn bei der ganzen Prozedur eine LP hätte herauskommen sollen. Die hört man ja in aller Ruhe zuhause, wo ein großer Dynamikumfang eines Tonträgers die wahre Freude sein kann. Bei einer CD ist jedoch die Nutzung auch unterwegs nicht auszuschließen, und da sind allzu große Pegelschwankungen eher unpraktisch. Dennoch haben wir uns für einen ausgesprochenen moderaten Kompressoreinsatz entschieden.

Der imaginäre Raum

Vom Symetrix geht es weiter zu zwei Kanälen des Acousta-Pultes, das auch schon bei der Aufnahme im Einsatz war. Ein- und Ausgänge sind hier mit feinen Haufe-Übertragern ausgestattet, und die Fader stammen von Penny & Giles. Das Mischpult dient einmal der Pegelanpassung, damit der nachfolgende Alesis-Festplatten-Recorder optimal ausgesteuert wird, so dass das Digitalsignal später nicht mehr rechnerisch auf Normalpegel gebracht zu werden braucht, was nach Experten-Meinung durchaus für klangliche Einbußen sorgen kann. Außerdem wird im Pult aus den beiden Kanälen ein unterschiedlich starkes Signal auf den Mono-Effektweg gemischt. Von dort geht es in ein EMT 445 Delay, dessen beide Kanäle jeweils zwei Ausgänge aufweisen, die Signale mit unterschiedlichen Verzögerungszeiten ausgeben. So wird auf den linken Kanal eine „erste Reflektion“ mit einem Delay von zwölf Millisekunden zurückgeführt, die auf der rechten Seite hingegen kommt erst nach 16 Millisekunden. Weitere 14 Millisekunden später verlässt das Signal die Verzögerungseinheit, das dann die beiden Eingänge des eines EMT 240 aussteuert. Der voluminöse Stahlkasten beinhaltet eine Goldfolie, mit deren Hilfe auf elektronisch-mechanische Art ein recht warmer, voller und reicher Hall erzeugt wird. Die Vorverzögerung – in der Fachsprache: das Pre-Delay – suggeriert unserem Gehör/Gehirn die Größe des imaginären Raums: Aus der Zeit, die zwischen dem Schallereignis und dem Einsetzen des Halls liegt, berechnen wir den Abstand der Schallquelle zu den nächsten Wänden. Der Goldfolienhall EMT 240, der für die Aufnahmen aus Hohenwettersbach mit einer Nachhallzeit von drei Sekunden und für die aus Bernried mit 2,5 Sekunden arbeitet, gibt ein Stereosignal aus, das auf die Stereosumme des Mischpultes zurückgeführt wird, wo es auf die durchgeschleiften Signale von der Bandmaschine trifft. Nur das parallelgeführte Effektsignal wird also im EMT 445 digitalisiert, verzögert und zurückgewandelt. Eine analoge Verzögerung per Endlos-Bandschleife und Tonbandmaschine würde das Rauschen unnötig erhöhen und wäre meines Erachtens übertriebener Purismus in Anbetracht der Tatsache, dass das Signal nach den Ausgängen des Acousta Pultes im Alesis in Digitaldaten mit 24 Bit und 96 Kilohertz gewandelt wird.

Das Editieren

Nachdem die Musiker der Nachbearbeitung zugestimmt haben, mache ich mich dann samt Festplatten-Recorder auf den Weg zum Bodensee, wo Heiner Merk sein Studio betreibt. Über ein Focusrite-Interface gelangen die Daten mit voller Auflösung vom Alesis MasterLink in das Schnittprogramm auf Computer-Basis. Die Mehrzahl der Songs bleibt erfreulicherweise aber unangetastet. Nur bei einigen wenigen bestehen Charles Davis und Sven Götz auf ein paar Schnitten. Diese führt Heiner Merk in Anwesenheit des Flötisten aus, fügt in Absprache mit ihm unterschiedlich lange – und für meinen Geschmack noch immer zu kurze – Pausen zwischen den Liedern ein, rechnet die Daten auf CD-Format herunter und übergibt sie zur Produktion der Firma House of Audio.

Applaus, Applaus

Abschließend noch eine kleine Anmerkung zum Applaus – oder besser – Nicht-Applaus: Die während leiserer Stellen deutlich zu vernehmenden Geräusche des Publikums stören nach Ansicht aller an der Produktion Beteiligten nicht im Geringsten, sie sind bei einer Live-Aufnahme ebenso erwünscht wie unvermeidlich. Dasselbe könnte doch auch für den Applaus und, wie ich finde, für die ebenso humorvollen wie geistreichen Ansagen Charles Davis’ gelten, meinte ich – bis mich der Flötist eines Besseren belehrt: „Beim ersten Hören schmunzelt man bestenfalls über die Ansagen. Beim zweiten beginnt das Reden einen zu langweilen, und beim dritten Mal fängt man an, den Sprechenden zu hassen“. Und so ähnlich sei es mit dem Applaus. So Recht Charles Davis mit dieser Einschätzung haben mag: Für den, der hinter den Reglern sitzt, ist diese Entscheidung alles andere als angenehm. Da das Publikum hier anders als bei klassischen Konzerten nicht bis zum völligen Verebben des letzten Tones ausharrt, bevor es seiner Begeisterung Ausdruck verleiht, macht der Verzicht auf den Applaus die ein’ oder andere etwas abrupte Ausblendung notwendig, wo man vielleicht noch lieber dem Verklingen der feinsten Schwingungen gelauscht hätte. Dennoch bin ich inzwischen davon überzeugt, dass die hier gewählte Variante auf längere Sicht die bessere ist.

P.S.: Über diesen Link gelangt man zur Site von Charles Davis, wo man vier Songs - leider nur in MP3-Qualität - hören und Pathways zum Preis von 15 Euro inklusive Versand in Deutschland bestellen kann

Playlist

Charles Davis - Pathways

Seite A
Matar (Charles Davis-Sproll) 9:01
Skies of Provence (Charles Davis-Sproll) 4:20
Kleiner Walzer (Sven Götz) 7:00
Balkan Dance (Charles Davis-Sproll) 5:32
El Sheik (Sven Götz) 6:41
Blues for Saliba (Charles Davis-Sproll) 5:56
Seite B
Flendrix (Charles Davis-Sproll) 2:04
Almost a Raga (Charles Davis-Sproll) 6:40
Dalia Rosa Alda (Charles Davis-Sproll) 4:44
One more Dance (Charles Davis-Sproll) 4:57
La Bégude (Charles Davis-Sproll) 7:45
Porto Maurizio (Charles Davis-Sproll) 5:41
Musiker
Charles Davis (Flutes)
Sven Götz (Guitars)
Steffen Hollenweger (Bass)
Aufnahme: Brigit Hammer-Sommer und Dirk Sommer
Mastering: Dirk Sommer
sommelier du son ist ein Projekt von Birgit Hammer-Sommer und Dirk Sommer, bei dem sich alles um gute Musik und ihre adäquate Aufnahme und Wiedergabe dreht.
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