Greetje Kauffeld und das Paul Kuhn Quintett

Live In Weinheim

Hier kommt sie, die erste image-hifi-Platte, deren Songs bisher auf keinem anderen Tonträger zu hören sind. Und das liegt keinesfalls daran, dass wir uns neuerdings auf die Förderung musikalischen Nachwuchses verlegt hätten. Nein, das Cover unserer LP 006 zieren wahrlich große Namen: Greetje Kauffeld und Paul Kuhn!

Konkretisierte Träume

Im Artikel über die Entstehungsgeschichte von Grey, dem Album mit Wolfgang Puschnig, Steve Swallow, Victor Lewis und Don Alias, hatte ich ja bereits angedeutet, von einer möglichst eigenständigen image hifi-Produktion zu träumen. Als ich kurz zuvor mit Frank Kleinschmidt, dem Inhaber des auch in audiophilen Kreisen hochgeschätzten (Jazz-)Labels IN+OUT Records, bei einem Glas badischen Rotweins über diese hochfliegenden Pläne gesprochen hatte, meinte er, das Ganze müsse ja keine Schnapsidee bleiben, und schlug vor, langfristig einmal über ein gemeinsames Projekt nachzudenken. Und für die Künstler seiner Wahl, Greetje Kauffeld und Paul Kuhn brauchte er mich nun wirklich nicht erst zu begeistern. Seit einem Interview mit dem deutschen Altmeister des Swing habe ich mir keine neue Scheibe des hervorragenden Arrangeurs und Pianisten entgehen lassen, einige fantastische Konzerte mit wechselnden Besetzungen genossen und auch in Second-Hand-Läden die ein oder andere Big-Band-Rarität vergangener Zeiten aufgespürt. Und bei den dem Interview vorausgehenden Aufnahmen von Play It Again, Paul (IN+OUT IOR CD 77040-2) hatte ich die ausdrucksstarke, reife und dennoch jugendlich frische Stimme Greetje Kauffelds schätzen gelernt – von ihrer Ausstrahlung ganz zu schweigen.

Netzwerk der Kulturoptimisten

Nach einem desaströs verlaufenen Aufnahmeversuch der Swing-Legenden und der SWR-Big-Band im März diesen Jahres begannen wir dann, das Kauffeld-Kuhn-Projekt zu konkretisieren. Zwei Tage nach der High End traf ich Frank Kleinschmidt, Rainer Fink, Ben Schmidt und Gunnar Fuchs auf dem idyllischen Marktplatz von Weinheim. Ersteren habe ich ja bereits vorgestellt, zweiter ist der Geschäftsführer von Marantz Deutschland und bekennender Jazz-Fan, wie zumindest alle Teilnehmer der Presse- oder Händlertreffen der letzten Jahre erfahren durften. Ben Schmidt fungiert ehrenamtlich als künstlerischer Leiter des örtlichen, aber überregional bekannten Muddy’s Blues and Jazz Club, in dem nicht zuletzt einige der schönsten IN+OUT-Scheiben aufgenommen wurden, und Gunnar Fuchs schließlich leitet das Kulturbüro der Stadt Weinheim, das einerseits den Muddy’s Club fördert und andererseits Hausherr der örtlichen Stadthalle ist. Nach deren Besichtigung stand noch ein kurzer Abstecher ins NH-Hotel Weinheim auf dem Programm, das ebenfalls zu den Sponsoren des Blues-und-Jazz-Clubs zählt und auch über eine ganze Reihe von Konferenzräumen verfügt.

Gegen Abend hatte unser Vorhaben dann konkrete Formen angenommen: Der Muddy’s Club würde am 24. September auf der Studiobühne der Stadthalle ein öffentliches Konzert mit Greetje Kauffeld und dem Paul-Kuhn-Quintett veranstalten und am Abend des folgenden Tages eine geschlossene Vorstellung für Marantz organisieren, die den kulturellen Ausklang eines Händlertreffens im NH-Hotel darstellte. Dank des Entgegenkommens des Kulturbüros sollte es den Musikern – und der Tontechnik – möglich sein, schon am 23. September auf der Studiobühne zu proben. Wir hätten also zwei Konzerte und einige Probetermine Zeit, Material für die neue LP aufzunehmen. Während eines langen Abends im „Diebsloch“, in dem traditionell die Sitzungen des Blues-und-Jazz-Clubs stattfinden, konnten Frank Kleinschmidt und ich dann auch dessen organisatorischen Leiter Günther Schmitt und die übrigen Vorstandsmitglieder für das Projekt gewinnen. Und damit war zumindest die Planung unter Dach und Fach – und ein eigentlich eingefleischter Kulturpessimist wie ich von soviel Einsatzfreude und Engagement aller Beteiligten in Sachen Jazz beinahe zum Optimisten bekehrt.

Kalkulation des Risikos

Kurz darauf begann Toningenieur Willem Makkee, der schon lange vor seiner Tätigkeit in den Emil-Berliner-Studios in seiner niederländischen Heimat unzählige Bands aufgenommen hatte, darunter Shocking Blue, Golden Earring sowie die Orchester Count Basies und Stan Kentons, mit den Vorbereitungen. Denn Bandmaschinen, analoge Mischpulte und klassische Mikrofone bedürfen zeitaufwendiger Pflege, wenn man sich bei der Aufnahme hundertprozentig auf sie verlassen will. Etliche Kilometer Band wollten ebenfalls rechtzeitig bestellt sein, und vor allem war die Art der Aufnahme festzulegen. Nach den schlechten Erfahrungen in Hamburg mit der die Einpunkt-Stereoaufnahme zu stark beeinflussenden Saalbeschallung entschied sich Willem Makkee für eine überschaubare Multimikrophonie. 14 Mikros würde er während des Konzerts auf vier Kanäle mischen. Deren zwei sollten allein den Mikrophonen Greetje Kauffelds und Paul Kuhns vorbehalten sein, so dass man beispielsweise etwaige durch variierende Abstände zwischen Sänger und Mikro entstehende Lautstärkeunterschiede im Stereo-Mix ausgleichen könnte. Das war aber auch schon die einzige Sicherung, die unser Aufnahmeingenieur eingebaut hatte. Wegen mangelnder Transportkapazität verließ er sich diesmal auf eine einzige Bandmaschine: eine Studer A80 in Vierspur-Halbzoll-Ausführung. Die Beschränkung auf diese vergleichsweise puristische Technik stellt an Musiker und Tontechniker beinahe so hohe Anforderungen wie die in den 70er Jahren so beliebten Direktschnitte: Jeder Fehler, den sich die Künstler oder der Mann am Mischpult während eines Songs leisten, wird unwiederbringlich festgehalten. Man kann – im Gegensatz zum Direktschnitt, wo eine ganze Plattenseite am Stück eingespielt wird – lediglich den gesamten Titel so akzeptieren, wie er ist, oder ihn komplett verwerfen. Die Zahl der Musiker und Toningenieure, die sich dieser Herausforderung stellen (können), wird in Zukunft gewiss nicht größer werden ...

Tontechnisches Triumvirat

Vor Ort war Willem Makkee dann nicht der einzige seiner Gilde: Theo Metzler kümmerte sich um den guten Ton auf der Studiobühne, und Winnie Leyh, Betreiber des renommierten Klangstudio Leyh in Sandhausen, zeichnete das Konzert für IN+OUT-Records digital auf 16 Spuren auf. Teils verwendeten alle drei ein und dasselbe Mikrofon, dessen Signal dann eine sogenannte Splitbox gerecht verteilte, teils wählte ein jeder nach eigenem Gusto das entsprechende Mikro. Beim Gesang allerdings war diese Vielfalt verständlicherweise nicht möglich. Hier musste sich Willem Makkee der Mehrheit beugen: Es kam ein Neumann KMS 105 zum Einsatz, dem unser Spezialist ein AKG vorgezogen hätte. Aber das war dann auch der einzige Wermutstropfen. Die Mitglieder des Blues und Jazz Clubs, allen voran Ben Schmidt, begrüßten uns wie alte Freunde, Bühnenmeister Thomas Neitzel legte beim Aufbau unserer Gerätschaften selbst mit Hand an und hängte gar für den Verfasser dieser Zeilen über der dritten Reihe ein Neumann SM 69 für erste eigene Aufnahmeversuche ab: wahrhaft paradiesische Arbeitsbedingung – nicht nur im Vergleich mit den Erfahrungen in der Musikhalle Hamburg.

Kleinere Katastrophen

Auch die Zusammenarbeit mit den Musikern gestaltete sich sehr erfreulich. Allein die Anekdoten, mit denen Schlagzeuger Willy Ketzer am Ende des Probentages die Runde beim Abendessen unterhielt, würden locker die ein´ oder andere Seite füllen, die mir hier aber leider nicht zur Verfügung steht. Deshalb konzentriere ich mich auf den technischen Aspekt des Projekts und erwähne auch den zwanzigminütigen Mikrophonausfall beim ersten Konzert, der der Stimmung von Musikern und Zuschauern nicht gerade zuträglich war, einen kleineren Brand im Keller der Stadthalle und einen kürzeren Stromausfall nur ganz am Rande. Nach drei arbeits-, spannungs- und ereignisreichen Tagen verließen wir dann schweren Herzens das gastfreundliche Weinheim – nicht ohne das feste Vorhaben, baldmöglichst für ähnliche Aktionen zurückzukehren.

Das Destilat

Willem Makkee fuhr mit elf nahezu vollständig bespielten Halbzoll-Bändern im Gepäck nach Hannover zurück. Und es dauerte nicht allzu lange, bis Frank Kleinschmidt und ich zwei CD-Rs mit einem ersten Zweikanal-Mix erhielten, um die gelungensten Songs auszusuchen zu können. Die Auswahl fiel zum Glück nicht allzu schwer, da die angedeuteten technischen Probleme am ersten Abend ihre Spuren hinterlassen hatten und wir die ohne Publikum eingespielten Titel nicht mit denen des gelungenen Samstags-Konzertes mischen wollten. Erfreulicherweise ließ uns der Label-Inhaber bei der Zusammenstellung der Songs weitgehend freie Hand, so dass das Gerüst für Live In Weinheim bereits stand, als ich mich eines schönen Wochenendes ins private (Studio-)Reich Willem Makkees aufmachte. Die letzten Entscheidungen in punkto Repertoire waren dann vor Ort schnell und einvernehmlich gefällt

Kunst-Handwerk

Was die Technik anbelangt, wagte ich dem erfahrenen Toningenieur sowieso nicht zu widersprechen – bis auf eine Kleinigkeit. Als Zuspielmaschine hatte er natürlich wieder eine Studer A80 auserkoren, deren Signale auf einem modifizierten Philips-Pult zwei Kanälen zugewiesen wurden und dann über eine Dolby-SR-Einheit, die wegen des ansonsten zu hohen Bandrauschens unverzichtbar sei, zu einer klanglich bestens beleumundeten Telefunken M15 gelangten. Aus den dort aufgezeichneten Zweispur-Viertelzollbändern fertigte Willem Makkee dann mit Schere, Klebeband und jahrzehntelanger Erfahrung das Band für die Überspielung: Einfach grandios, wie es ihm immer wieder gelang, genau die Stellen im abschwellenden Applaus und am Beginn eines Songs so zusammenzufügen, dass man meinen könnte, beim Konzert seien die Titel in exakt der Reihenfolge gespielt worden, wie sie nun auf der Scheibe erklingen.

Unverkünstelt

Beim ersten Mix für die CD-Rs hatte der Toningenieur Greetje Kauffelds Stimme mit ein wenig Hall aus einem (digitalen) Lexicon-Effektgerät hinterlegt und schlug dasselbe Verfahren auch für die Platte vor. Da ich auf meinem privaten Mitschnitt die fantastische Stimme aber völlig frei von technischen Zusätzen hören und sie so sehr viel eindringlicher und intensiver erleben konnte, überredete ich Willem Makkee, auf jegliche Manipulation des Gesanges zu verzichten. An den technischen Möglichkeiten wäre übrigens auch eine rein analoge Hallzugabe nicht gescheitert: Bandmaschinen für die Vorverzögerung und ein riesiger AKG-Federhall sind im Makkeeschen Gerätepark selbstverständlich vorhanden. Am folgenden Montagmorgen gab’s dann im Schneideraum des Emil-Berliner-Studio business as usual. Und bald darauf standen die frisch geschnittenen Lackfolien bereit zum Transport ins Presswerk nach Diepholz, wo sie kurz nach ihrem Eintreffen versilbert wurden.

Bass satt

Ein paar Tage später kehrte der Autor dann mit einer Probepressung wieder zurück in Gröbenzell und war beim abendlichen Abhören derselben auch ganz zufrieden. Tags drauf monierte Kollege Kraft allerdings den ungemein fetten Bass-Drum-Sound Willy Ketzers, den er gar einer Warnung auf dem Cover für würdig erachtete. Sollte die Saalbeschallung oder die Monitoranlage ins Mikrophon eingestreut haben? Ein wenig Licht ins Dunkel brachte zuerst Willy Ketzers CD Cologne Jazz No. 1, auf der die Tiefe Trommel ihrem Namen ebenfalls alle Ehre macht. Eine kurze telefonische Nachfrage beim Schlagzeuger stellte dann endgültig klar, dass unser Aufnahmeingenieur goldrichtig lag: Willy Ketzer stimmt die Felle seiner Bass Drum sehr tief und füllt sie zum großen Teil mit Molton. Der knackige Jazz-Klang sei nicht sein Ding, er komme vielmehr vom Jazz-Rock aus der Doldinger-Ecke und da sei ihm ein abgrundtiefer, voluminöser Klang eben lieber. Ich hätte es wissen müssen: Wenn ein Profi wie Willem Makkee an den Reglern sitzt, braucht man sich um den Sound keinerlei Gedanken zu machen.

Anmerkung: Der Artikel wurde erstmals in image hifi 1/05 veröffentlicht und für diese Seite leicht überarbeitet. Die image-LP 006 war schon ein halbes Jahr nach ihrem Erscheinen ausverkauft.

Playlist

Greetje Kauffeld und das Paul Kuhn Quintett - Live In Weinheim

Seite A
My Shining Hour (H. Arlen / J. Mercer) 4:21
One For My Baby (H. Arlen / J. Mercer) 6:29
That Old Black Magic (H. Arlen / J. Mercer) 4:22
Ill Wind (H. Arlen / T. Koehler) 5:15
Seite B
C-Jam Blues (D. Ellington) 6:34
Last Night When We Were Young (H. Arlen / E. Y. Harburg) 4:30
Happiness Is A Thing Called Joe (H. Arlen / E. Y. Harburg) 4:58
Sleeping Bee (H. Arlen / T. Capote) 4:26
Musiker
Greetje Kauffeld (Gesang)
Paul Kuhn (Piano)
Kim Barth (Saxophone, Flöte)
Paulo Morello (Gitarre)
Paul. G. Ulrich (Kontrabass)
Willy Ketzer (Schlagzeug)
Aufnahme: Willem Makkee
Produzent: Dirk Sommer
Schnitt der Lackfolie: Willem Makkee
Pressung: Pallas
sommelier du son ist ein Projekt von Birgit Hammer-Sommer und Dirk Sommer, bei dem sich alles um gute Musik und ihre adäquate Aufnahme und Wiedergabe dreht.
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