De-Phazz feat. Joo Kraus

Live at Villa Belvedere

Was im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verkümmert, das ist seine Aura“, schrieb Walter Benjamin im Jahr 1935 – und damals gab es noch nicht einmal Youtube oder Spotify. Als Zeichen des lustvollen Widerstandes gegen die digitale Entzauberung der Welt versammelte sich Anfang Juni 2023 eine Gruppe Musik-Besessener in einer Jugendstilvilla in Eltville am Rhein, um etwas zu zelebrieren, das unwiederbringlich verloren gegangen scheint: die Unmittelbarkeit, Echtheit und Einmaligkeit. Oder, um es mit dem Philosophen Benjamin zu sagen, all das, was die Aura eines Kunstwerks ausmacht.

Ein passenderer Ort als das Hauptquartier von „ATR Audio Trade“, einem der Pioniere des Vertriebs von High-End-HiFi-Geräten in Deutschland, wäre dafür kaum denkbar gewesen. Und auch für die Reanimation der exklusiven audiophilen Schallplattenreihe von „ATR“, die Kennern ein Zungenschnalzen entlockt, hätte man sich keine bessere Konstellation als diese wünschen können: fünf hervorragende Jazz-Instrumentalisten auf der Bühne, mit Dirk Sommer und Birgit Hammer-Sommer den ausgewiesenen Klang-Gourmets als Tonmeister an den analogen Aufnahmegeräten, dazu ein konzentriertes handverlesenes Publikum auf Sofas und Sesseln.

„Jazz Ltd. - Live at Villa Belvedere“, das auf Vinyl gepresste Ergebnis dieser Recording-Session unter kontrollierten Live-Bedingungen, ist die konsequente Fortführung der Zusammenarbeit zwischen den HiFi-Spezialisten Sommer und De-Phazz, Deutschlands international erfolgreichster Pop-, Soul- und Lounge-Band. 2014 war man schon einmal zusammengekommen, um im Berliner Club „A-Trane“ das ebenfalls nur auf Schallplatte erhältliche Live-Album „Garage Pompeuse“ aufzunehmen. Der zweite Streich ist nun noch schnörkelloser: kein Gesang, enorm entschlackte Arrangements, radikale Reduktion auf das Wesentliche.

„Ich wollte, dass wir diesmal mehr kammermusikalisch vorgehen und austesten, wieviel Substanz in den Melodien steckt“, erklärt De-Phazz-Gründer und -Produzent Pit Baumgartner die Vorgehensweise. Dafür suchte er geeignete Stücke aus dem Fundus der inzwischen über 25-jährigen Band-Historie aus. Und überließ anschließend den fabelhaften Musikern – Ulf Kleiner an Klavier und Rhodes, Marcus Bartelt am Baritonsaxofon, Bernd Windisch am E-Bass, Oli Rubow am Schlagzeug und Gaststar Joo Kraus an Trompete und Flügelhorn – den Rest.

Das von einer Studer A810, dem Mercedes unter den analogen Bandmaschinen, ohne Netz und doppelten Boden aufgezeichnete Resultat ist erstaunlich. Es wirkt wie eine Reise in die goldenen Zeiten von legendären Jazz-Labels wie Blue Note, Pacific oder Prestige. Nicht selten fühlt man sich an Größen wie Kenny Dorham, Gerry Mulligan oder an A.C. Jobim erinnert, wenn sich das Quintett tiefenentspannt in Hardbop-Bläsersätzen, Bossa- oder Rumba-Reminiszenzen ergeht. Modernere Elemente wie NuSoul-Grooves à la D'Angelo oder Spoken-Word-Raps, die Kraus in sein Trompetenmikrofon spricht, fügen sich organisch in das Heraufbeschwören der Magie des Augenblicks ein. Denn genau darum geht es: Im Hier und Jetzt zu sein, unmittelbar und ehrlich.

„Sobald die Musiker spielen und das Tonband läuft, gibt es kein Zurück mehr“, sagt Pit Baumgartner über die bislang musikalisch purste Aufnahme in der Geschichte von De-Phazz, „du hast nur eine Chance, da wird wirklich der Moment eingefangen“. In einer Gegenwart, die von Berieselung, körperlosen Playlists und Gebrauchsmusik für den schnellen Kick dominiert wird, ist das etwas unglaublich Kostbares. Es lebe die Aura!

Josef Engels

sommelier du son ist ein Projekt von Birgit Hammer-Sommer und Dirk Sommer, bei dem sich alles um gute Musik und ihre adäquate Aufnahme und Wiedergabe dreht.
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