Hans Theessink

Live at Jazzland

Irgendwann musste es ja mal passieren: Die Wege von Hans Theessink und den sommeliers du son hatten sich schon oft gekreuzt. Ich kann mich beispielsweise noch gut daran erinnern, wie ich mit meiner Gattin zur Präsentation des Albums Slow Train in die Südsteiermark eingeladen war: Dort gab es nicht nur ein packendendes Konzert von Hans Theessink und seiner Band, sondern man konnte in dem einem Disney-Schloss nicht unähnlichen Anwesen auch all die verschiedenen Räume „hören“, die wegen ihrer charakteristischen Nachhallzeit für die Aufnahme der einzelnen Stimmen und Instrumente ausgesucht worden waren. Hans Theessink geht es neben seiner Musik eben auch immer um den besonders guten Ton. Auch bei Alben wie besagtem Slow Train, das aufgrund der Entfernungen der Aufnahmeorte im Schlösschen und seinen Nebengebäuden idealerweise digital produziert wurde, bestand der Vinyl-Fan auf einer LP-Ausgabe. Fast regelmäßig trafen wir uns auch bei Ludwig Flichs klangBildern, der österreichischen Hifi-Show in Wien. Und da haben wir im Herbst 2011 dann ein gemeinsames Projekt verabredet: ein von den Gitarrensaiten und Stimmbändern bis zur Plattenrille durchgängig rein analoges Solo-Album.

Das Jazzland

Mit dem Vorschlag des Aufnahmeortes rannte Hans Theessink bei uns offene Türen ein: Er schlug einen Mitschnitt seiner dreitägigen „Neujahrskonzerte“ vor, mit denen er traditionell in jedem Jahr die Konzertreihe in Wiens geschichtsträchtigem Jazzland einläutet. Wir hatten den Club schon bei einem unserer ersten Besuche in Wien Ende der 80-er Jahre entdeckt, als dort der großartige Bassist Aladar Pege mit seiner Band auftrat. Seitdem zählen wir den von Axel Melhardt schon seit 1972 (!) geleiteten Keller unter der Ruprechtskirche zu unseren Lieblingsclubs. Ein wenig mag auch die Spezialität des Hauses, die Cevapcici, dazu beigetragen haben. Doch ernsthaft: Wir haben an dieser Stelle jedenfalls immer wieder mal großartige Konzerte erleben dürfen. Und das war auch am 31. Januar und am 1. und 2. Februar 2013 nicht anders. Für die ebenso freundliche wie tatkräftige Unterstützung des gesamten Projekts möchten wir Axel Melhardt und seinem Team auch an dieser Stelle noch einmal herzlich danken.

Beste Unterhaltung

Kennen Sie auch diese Art von Jazz-Konzerten, bei denen die Musiker auf die Bühne kommen, ohne das Publikum wahrzunehmen, die Stücke ohne jegliche Ansage beginnen und dann gerade mal nach dem Schlussapplaus ein Dankeswort an die Besucher richten? Hans Theessinks Auftritte sind das genaue Gegenteil: Der große Kommunikator braucht keine zwei Songs, um seine Fans im Griff zu haben. Vor oder nach den Stücken gibt es Erklärungen oder auch mal eine Anekdote zur Entstehung oder Reaktionen bei früheren Konzerten. Der Wahl-Wiener begeistert seine Gäste nicht nur mit ebenso virtuoser wie bodenständiger Spielfreude, sondern auch mit jeder Menge kurzer Geschichten. Das dritte Element der ungeheuer fesselnden, aber immer unprätentiösen Bühnenpräsenz ist die musikalische Interaktion mit dem Publikum: Wir haben es nur selten erlebt, dass ein Musiker seine Zuhörer derart überzeugend aus ihrer Passivität herausholt und sie zum Mitmachen inspiriert, das über schlichtes Klatschen hinausgeht. Hans Theessink fordert – und bekommt – Harmoniegesang, aber auch kompliziertere perkussive Beiträge.

Im Jazzland endete kein Abend mit jeweils drei einstündigen Sets vor Mitternacht. Wir konnten uns über diese Menge an Material nur freuen, denn sie ermöglichte es uns, auf die Songs zu verzichten, die Hans Theessink mit seinen Fans zelebrierte. Fremde gesangliche Begeisterung mag vielleicht beim ersten Hören einer Scheibe noch ihren Reiz haben, beim zehnten Mal dürfte sie aber etwas schal wirken. Und deswegen haben wir die Songs ausgewählt, bei denen der Blues-Man allein im akustischen Brennpunkt steht. Wer neben den musikalischen Fähigkeiten Hans Theessinks auch seine Entertainer-Qualitäten erleben will, dem sei der Besuch eines Konzertes nachdrücklich ans Herz gelegt.

Klangliche Annäherung

Da Hans Theessink sehr genaue Vorstellungen von seinem Live-Sound hat und – wie schon erwähnt – hohe Ansprüche an seine Tonträger stellt, habe ich nach den Erfahrungen mit Inga Rumpf bei der Aufnahme der White Horses-Doppel-LP bei der Mikrofonierung keine Experimente gemacht und Hans Theessinks gewohntes Gesangsmikrofon, das Stereomikro für die akustische Abnahme der Gitarre und den Mundharmonika-Pickup als gesetzt angesehen. Für die Abnahme des Gitarrenverstärkers wählte ich ein Hybrid-Kondensatormikro: AKGs Solidtube, dass einen warmen, runden Sound bietet. Am ersten Tag habe ich noch versucht, mit Raum-Mikros die Reaktionen des Publikums einzufangen und Hans Theessinks Foot-Tapping mit einem Grenzflächenmikro abzunehmen. Dadurch geriet das Klangbild aber viel zu diffus. Die Kraft und Dynamik von Gitarre und Stimme kam so nicht rüber. Die Raummikros verschwanden am folgenden Tag also wieder in ihrem Koffer und ein klassisches Sennheiser MD 412-2 zielte auf den rhythmischen Fuß. So schien Hans Theessink auch im recht weit von der Bühne entfernten, improvisierten „Kontrollraum“ direkt vor uns zu sitzen. Noch einmal kurz zum Stickwort Kraft: Für den routinierten Sänger war es nicht das geringste Problem, nach ein paar geflüsterten Worten mit über 30 Dezibel mehr Lautstärke loszulegen. Da wir grundsätzlich weder Limiter noch Kompressoren einsetzen, gab es aber an anderer Stelle ein Problem: Wir fuhren das Band kurzzeitig in die Sättigung, was in der analogen Welt aber durchaus angenehm klingen kann – solange man nicht übertreibt. Der interne Arbeitstitel für die Scheibe war übrigens Saturation Blues.

Der Feinschliff

Was wir schließlich auf dem Band hatten, strotzte vor Energie, war erdig, kraftvoll, rau und ein wenig kantig. Auch gab es Lautstärkeunterschiede zwischen Songs, die nicht interpretatorisch begründet waren. Hier und da hatte sich ein scharfer S-Laut eingeschlichen. Außerdem konnte man bei einer entsprechenden Anlage auch die ein oder andere Raummode des Aufnahmeraumes heraushören. Nach den guten Erfahrungen mit dem Mastering der New Mastersound-LP, die unter recht widrigen Aufnahmebedingungen entstanden war, haben wir dann Christoph Stickel gebeten, dem Album mit seinem ausgesuchten Analog-Equipment einen Hauch Eleganz zu verleihen, ohne ihm etwas von seiner Ursprünglichkeit und Intensität zu nehmen. Wir finden, das ist ihm wunderbar gelungen.

Der Feinschnitt

Nein, hier geht es nicht um Tabak, sondern den Schnitt des Stereosignals von der Bandmaschine in die Lackfolie für die Herstellung des Pressstempels. Und wer könnte den besser machen als Hans Theessinks gebürtiger Landsmann Willem Makkee, mit dem uns eine langjährige, wohlklingende Zusammenarbeit verbindet und der 50 Jahre Erfahrung beim Schneiden von Lackfolien verkörpert? Das Plating fand bei der Pallas in Diepholz statt. Udo Karduck entfernte dort mit gewohnter Sorgfalt Staubpartikel von der Mutter, die sich später in der fertigen Pressung als Knackser bemerkbar machen würden. Gepresst wurde wie immer in 180 Gramm Vinyl. Die LPs wurden nicht verschweißt, da nach unseren Erfahrungen so mit weniger Reklamationen auf Grund von Verwellungen zu rechnen ist.

Dirk Sommer

Die Linernotes

Allein sitzt er auf der Bühne – und klingt doch wie eine komplette kleine Band. Mehrere Musiker stecken allein schon in dieser Gitarre drin. Einer rollt da die Harmonien, einer treibt den Bass, einer zupft das Solo. Dann ist da noch einer, der kleine Zwischenläufe einwirft, ein anderer, der heulende Saitentöne in die Nacht schickt wie zärtliche Sternschnuppen – und alles passiert scheinbar gleichzeitig. Manchmal ist es, als ob die Akkorde einfach aufplatzten in verschiedene Richtungen, schmutzig, eigensinnig, widerborstig. Am Stahlfinger scheppern dann die Saiten, Slides jaulen quer, Zwischentöne erzittern sich Aufmerksamkeit. Das ist alles handgemacht, unverfälschtes Wurzelwerk – und doch im Detail eine ganz besondere Kunst der Nuancen. Wer so den Blues spielt, so die Spannung verdichtet und dann wieder das Offene gewinnt, der hat den Meistern gelauscht, der hat im Delta gelernt. In „Big Bill’s Guitar“ verrät Hans Theessink ein wenig von seiner eigenen Geschichte: „Big Bill is to blame.“ Big Bill, das ist natürlich Big Bill Broonzy, der große Bluesmann vom Mississippi.

In Hans Theessinks Ein-Mann-Orchester sind noch mehr Musiker zugange. Da ist vor allem Theessink, der Sänger. Diese sonore, warme, aber auch lakonische, wettergegerbte Truckerstimme. Illusionslos und doch irgendwie tröstlich. Dann auch Theessink, der Bluesharp-Spieler, der sich ganz souverän auf expressive Akzente beschränkt. Und nicht zuletzt: Theessink, der Foot-Tapper. Was kann man schreiben über den bloßen Sound eines klopfenden Schuhs auf dem Bandstand? Kann ein Stampfen warm sein? Kann es weich sein, voluminös, federnd, swingend? Denn genau so klingt Theessinks Tapping in dieser Aufnahme. Dieses Tapping gibt seinem Blues den Drall, den Drive, das Leben. Ob zum Shuffle von „Big Bill’s Guitar“, zum Stakkato-Takt des „Mercury Blues“, zum Boogie-Bass von „Maybelline“ oder im langsamen Swing von „I Gotta Move“: Diese „Rhythm Section“ rockt.

Zwar kommen die Stücke aus dem Soul, dem R&B, aus Rock’n’Roll oder Jazz. Doch bei Hans Theessink werden die gemeinsamen Wurzeln hörbar, der elementare Delta-Sound, der nach Schaukelstuhl, Cowboyhut und Holzveranda schmeckt. Dabei eröffnet jedes Stück wieder eine andere Facette: mal nüchtern und mal leidenschaftlich, mal geheimnisvoll, mal ironisch, mal fast experimentell und mal fast fröhlich. Theessink überrascht ständig mit seinen Sounds. Auch mit neuen Spieltechniken und wechselnden Haltungen. „Man muss nicht aus den Südstaaten kommen oder schwarz sein, um Blues spielen zu können“, sagt er, der geborene Niederländer und Wahl-Wiener, der „white boy lost in the blues“. „Bei einer erdigen Knöpflharmonika in der Steiermark oder einem guten Wienerliedsänger spüre ich auch etwas Bluesiges. In jeder verwurzelten Musik ist der Blues universal enthalten. Gute Musik hat immer einen bluesigen Ton.“ Wenn Hans Theessink im Wiener „Jazzland“ wieder mal sein bluesiges Heimspiel gibt, dann bekommt das Blau der „blauen Donau“ jedenfalls einen ganz neuen Sinn.

Hans-Jürgen Schaal

 

 

 

Playlist

Hans Theessink - Live at Jazzland

Seite A
Big Bill's Guitar (Hans Theessink) 3:29
Mercury Blues (K. C. Douglas) 2:56
You Gotta Move (trad. arr.: Hans Theessink) 4:04
Minnibelle (Hans Theessink) 5:05
Maybellene (Chuck Berry) 5:57
Seite B
Johnny & The Devil (Hans Theessink) 4:21
Blind Willie (Hans Theessink) 3:12
Walking The Dog (Rufus Thomas) 5:10
St. James Infirmary (J. Primrose, arr.: Hans Theessink) 5:46
Diddi Wah Diddi (Blind Blake) 3:44
Musiker
Hans Theessink (Gitarre, Gesang, Mundharmonika)
Aufnahme: Birgit Hammer-Sommer und Dirk Sommer
Produzenten: Birgit Hammer-Sommer und Dirk Sommer
Mastering : Christoph Stickel und Dirk Sommer
Schnitt der Lackfolie: Willem Makkee
Pressung: Pallas
sommelier du son ist ein Projekt von Birgit Hammer-Sommer und Dirk Sommer, bei dem sich alles um gute Musik und ihre adäquate Aufnahme und Wiedergabe dreht.
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