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Montag, 13 Oktober 2014 00:00

Michel Godard - Soyeusement Live In Noirlac

Die Linernotes zu Soyeusement

Michel Godard ist ein Traumgänger zwischen den Epochen und Kulturen. Er gehörte zum innersten Kern der „Folklore Imaginaire“ um Louis Sclavis und Valentin Clastrier und wirkt seit vielen Jahren in der Band des libanesischen Oudspielers Rabih Abou-Khalil. Er liebt die Adaption von Renaissance- und Barockmelodien und ist gleichzeitig der Tubaspieler erster Wahl in experimentellen Jazzbands. Godards eigene Musik reflektiert alle diese Welten und Zeiten. Improvisierend wandelt er durchs Imaginäre und erwandelt sich Räume, in denen Visionen wahr werden können. Vor Jahren fand er einen solchen Raum im mittelalterlichen Castel del Monte in Apulien, einem rätselhaften Bauwerk voller Vergangenheit und Zukunft. Dort ließ Michel Godard Renaissance und Jazz einander musikalisch begegnen, als sei es das Natürlichste der Welt.

Nun hat Michel Godard einen neuen Raum gefunden, der wie aus der Zeit gefallen scheint: das ehemalige Zisterzienser-Kloser in Noirlac in Zentralfrankreich. Die mittelalterliche Abtei – ihre Geschichte, ihre Architektur, ihr Raumklang, ihre Umgebung – besitzt genau jene bestimmt-unbestimmte Magie, die Godards Musik braucht: Offenheit in alle Richtungen, Verbindungen nach überallhin. Denn Godards Musik will sich nicht festlegen, sie liebt den Schwebezustand – tänzelnd, sanft, improvisiert, gedämpft, dunkel, irgendwo zwischen Mittelalter und Jazz. Schon die Instrumente, die in Noirlac zusammenkamen, symbolisieren dieses Schweben zwischen den Welten. Der E-Bass, die elektrische Bassgitarre, stammt aus der Rock- und Fusion-Musik. das Saxophon ging dagegen aus der großen Erneuerung der Blasinstrumente im 19. Jahrhundert hervor, bevor sie im Jazz ihren Charakter änderten. Der Serpent – der schlangenhaft gewundene Bass-Zink –, die Theorbe – die mehrchörige Bass-Laute – und die Barock-Geige öffnen Klangtore in eine ferne, interkulturelle Vergangenheit. Und nicht zu vergessen: Gavino Murgias schnarrender Kehlgesang – Reflex einer jahrtausendealten Vokaltradition auf Sardinien.

In Godards zeitlosem Raum der Phantasie finden diese Instrumente viele Nischen und Verbindungen. Da duettieren Serpent und E-Bass miteinander, auch E-Bass und Theorbe verschmelzen zu einem transepochalen Instrument, das Sopransaxophon setzt mehrere jazzige Höhepunkte, aber die Theorbe kann ebenfalls swingen, Geige und Serpent finden zusammen, der Kehlgesang liefert Bordun-Begleitungen, man improvisiert kollektiv. Ob im swingenden Walzer oder als Etüde über zusammengesetzte Metren: Lyrische Melodien verzaubern den Moment mit einer hypnotischen Kraft. Es ist ein unangestrengtes Traumwandeln durch Zeiten und Welten. Natürlich spielt dabei Vertrauen eine Rolle: Mit dem Amerikaner Steve Swallow arbeitete Godard schon 1994 bei Abou-Khalil, mit dem Sarden Gavino Murgia spielt er seit langem im Duo. Das sind Brücken, die das Gegensätzlichste verbinden können, Brücken über Stile, Kulturen, Epochen hinweg, unwahrscheinlich, improvisiert, fast körperlos, seidenweich. Es sind die magischen Traumbrücken von Noirlac, dem schwarzen See, wo sich alle Linien kreuzen. Eine Art Jazz, aus Zeit und Raum gefallen.

Hans-Jürgen Schaal
Juni 2012

Einen Song dieses Albums können Sie im Download-Bereichdes Online-Hifi-Magazines hifistatement.net in CD-Qualität und in hoher Auflösung kostenlos herunterladen.

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Sonntag, 08 Juni 2014 00:00

sommelier du Son

sommelier du son ist ein Projekt von Birgit Hammer-Sommer und Dirk Sommer, bei dem sich alles um gute Musik und ihre adäquate Aufnahme und Wiedergabe dreht: Recording – Producing – Mastering oder kurz rpm.

Montag, 02 Juni 2014 00:00

Bert Kaempfert - Four Hits On 45 rpm

Mit einer Bert-Kaempfert-Scheibe begann die kleine Serie von image-LPs. Und zur Feier des Zehnjährigen von image hifi haben wir uns den Spaß erlaubt, vier der besten Songs dieses Albums noch einmal aufzulegen. Die Platte trägt die Nummer 007 – was man durchaus als Warnung verstehen könnte...

35 Jahre nach der Aufnahme erscheinen die besten Songs von Klaus Weiss’ All-Star Big Band zum zweiten Mal auf Vinyl – und klingen besser denn je, meint zumindest der Namensgeber und Leiter des Orchesters.

Dienstag, 27 Mai 2014 00:00

Charles Davis - Pathways

Vorgeschichte

Alles begann damit, dass mir der Flötist Charles Davis unbekannterweise eine seiner CD-Produktionen auf dem renommierten Klangräume-Label zur Rezension in image hifi zusandte. Bald darauf trudelte eine zweite ein, die er jedoch mit einer anderen Gruppe eingespielt hatte. Und deshalb dauerte es einige Zeit, bis es dem begeisterten Rezensenten dämmerte, dass es eben dieser Charles Davis war, der sowohl bei Captured Moments als auch bei Four Or More Flutes eine entscheidende Rolle spielte. Das Erscheinen der dritten Scheibe, diesmal vom Ensembles Chanchala, kündigte der Flötist dann telefonisch an. Und beim Avisieren der vierten CD verabredeten wir, uns einmal bei einem Auftritt zu treffen. Als dann ein Konzert in der Nähe vom München anstand, war meine Begeisterung für alles, was mit Tonband- und Aufnahmetechnik zusammenhing, so stark angewachsen, dass ich ganz dreist einmal fragte, ob es erlaubt sei, den Auftritt nur so zum privaten Spaß auf Viertelzoll-Band aufzuzeichnen. Charles Davis und seine Mitspieler bei Captured Moments, Sven Götz (Gitarren) und Steffen Hollenweger (Kontrabass) willigten spontan ein. Der Mitschnitt des Konzertes im Kallmann-Museum in Ismaning im April 2007 machte dann allen Beteiligten Lust auf mehr. Die Musiker waren nach einer Umbesetzung in dieser Formation zum ersten Mal aufgetreten und sahen durchaus noch einige Verbesserungsmöglichkeiten für das Zusammenspiel. Und meine Gattin, die sich während der Aufnahmen um die beiden Studer-A810-Bandmaschinen kümmerte, während ich mich der Balance zwischen den Instrumenten und ihrer Verteilung auf zwei Kanäle widmete, und ich waren fest davon überzeugt, dass auch klangtechnisch noch eine deutliche Steigerung möglich sei. So verabredeten wir eine weitere Aufnahme für den September 2007 im Barocksaal des Klosters in Bernried.

Die Aufnahmen

Aber trotz zweier Raummikrofone lieferte die natürliche Akustik zu wenig Hall, um die Flöten so klingen zu lassen, wie es Charles Davis vorschwebte. Daher experimentierten wir mit einer klassischen Zweimikrofonaufnahme mit einer Jecklin-Scheibe und zwei Neumann-Gefell-Kugelmikrofonen in der Alten Kirche in Romanshorn: Der Hall war für die Flöte nahezu ideal, für Bass und Gitarre aber eindeutig zuviel des Guten. Da inzwischen bei den Musikern der Wunsch, eine Live-CD einzuspielen, herangereift war, stand für uns das weitere Vorgehen fest: Wir würden eines der kommenden Konzerte mit einer Nahmikrofonierung aufzeichnen und den gewünschten Raumeffekt beim Mastering auf möglichst analoge Art hinzufügen. Ende Januar 2008 gaben Captured Moments dann im Kellergewölbe der evangelischen Kirche in Hohenwettersbach ein Konzert, das wir auch wieder mit zwei Studer A80 im versetzten Betrieb aufzeichneten, damit uns bei den nötigen Bandwechseln kein Song verloren ging. Schon vor dem Auftritt in Bernried hatte Charles Davis nach einem kurzen Vergleich das UM 70S von Microtech Gefell für seine Flöte ausgesucht, da es eine noch geringere Präsenzanhebung aufweist als das NTK Röhrenmikrofon von Røde. Sven Götz verwendet für seine Gitarren beim Homerecording gleich zwei TLM 103 auf dem Hause Neumann. Da mein Fundus ebenfalls ein Pärchen dieser eher hell timbrierten Mikros umfasst, konnten wir bei den Gitarren auf Bewährtes zurückgreifen. Sven Hollenwegers warm singender Bass-Sound hatte schon gleich in Ismaning ganz hervorragend mit einem der NTKs harmoniert. So brauchten wir weder bei der Mikrofonierung noch bei der übrigen Technik das geringste Risiko einzugehen. Und bei der Nähe der Mikros zu den Instrumenten würde der unbekannte Raum auch keine allzu großen Unwägbarkeiten beisteuern können. Kein Wunder also, dass das bestens eingespielte Trio gleich sechs Songs dieses Abends für die CD auswählte.

Die Nachbearbeitung

Die übrigen sechs Titel wollte Charles Davis zu meinem Entsetzen allerdings den Bändern aus Bernried entnehmen. Die waren zwar mit denselben Mikrofonen für die Instrumente, jedoch – wie bereits erwähnt – auch mit zwei zusätzlichen Raummikros aufgezeichnet worden. Und deren Beitrag zu dem vor Ort erstellten Zweikanal-Mix konnte ja nachträglich nicht mehr entfernt werden. Dass die beiden Song-Blöcke aus den unterschiedlichen Aufnahmeumgebungen minimal anders klingen würden, war für den Bandleader kein Grund, die einmal getroffene Songauswahl noch einmal zu revidieren. In beiden Fällen wünschte er sich jedoch deutlich mehr Hall für seine Flöte. Und das bedeutete für die Nachbearbeitung, die beiden doch recht unterschiedlich wirkenden Mitschnitte so mit Hall zu hinterlegen, dass sie danach möglichst ähnlich klängen. Dazu werden die Bänder mit den Studer A810 abgespielt, mit denen sie auch aufgenommen wurden. Das Signal durchläuft einen Symetrix Compressor Limiter mit sehr konservativer Einstellung, den ich natürlich weggelassen hätte, wenn bei der ganzen Prozedur eine LP hätte herauskommen sollen. Die hört man ja in aller Ruhe zuhause, wo ein großer Dynamikumfang eines Tonträgers die wahre Freude sein kann. Bei einer CD ist jedoch die Nutzung auch unterwegs nicht auszuschließen, und da sind allzu große Pegelschwankungen eher unpraktisch. Dennoch haben wir uns für einen ausgesprochenen moderaten Kompressoreinsatz entschieden.

Der imaginäre Raum

Vom Symetrix geht es weiter zu zwei Kanälen des Acousta-Pultes, das auch schon bei der Aufnahme im Einsatz war. Ein- und Ausgänge sind hier mit feinen Haufe-Übertragern ausgestattet, und die Fader stammen von Penny & Giles. Das Mischpult dient einmal der Pegelanpassung, damit der nachfolgende Alesis-Festplatten-Recorder optimal ausgesteuert wird, so dass das Digitalsignal später nicht mehr rechnerisch auf Normalpegel gebracht zu werden braucht, was nach Experten-Meinung durchaus für klangliche Einbußen sorgen kann. Außerdem wird im Pult aus den beiden Kanälen ein unterschiedlich starkes Signal auf den Mono-Effektweg gemischt. Von dort geht es in ein EMT 445 Delay, dessen beide Kanäle jeweils zwei Ausgänge aufweisen, die Signale mit unterschiedlichen Verzögerungszeiten ausgeben. So wird auf den linken Kanal eine „erste Reflektion“ mit einem Delay von zwölf Millisekunden zurückgeführt, die auf der rechten Seite hingegen kommt erst nach 16 Millisekunden. Weitere 14 Millisekunden später verlässt das Signal die Verzögerungseinheit, das dann die beiden Eingänge des eines EMT 240 aussteuert. Der voluminöse Stahlkasten beinhaltet eine Goldfolie, mit deren Hilfe auf elektronisch-mechanische Art ein recht warmer, voller und reicher Hall erzeugt wird. Die Vorverzögerung – in der Fachsprache: das Pre-Delay – suggeriert unserem Gehör/Gehirn die Größe des imaginären Raums: Aus der Zeit, die zwischen dem Schallereignis und dem Einsetzen des Halls liegt, berechnen wir den Abstand der Schallquelle zu den nächsten Wänden. Der Goldfolienhall EMT 240, der für die Aufnahmen aus Hohenwettersbach mit einer Nachhallzeit von drei Sekunden und für die aus Bernried mit 2,5 Sekunden arbeitet, gibt ein Stereosignal aus, das auf die Stereosumme des Mischpultes zurückgeführt wird, wo es auf die durchgeschleiften Signale von der Bandmaschine trifft. Nur das parallelgeführte Effektsignal wird also im EMT 445 digitalisiert, verzögert und zurückgewandelt. Eine analoge Verzögerung per Endlos-Bandschleife und Tonbandmaschine würde das Rauschen unnötig erhöhen und wäre meines Erachtens übertriebener Purismus in Anbetracht der Tatsache, dass das Signal nach den Ausgängen des Acousta Pultes im Alesis in Digitaldaten mit 24 Bit und 96 Kilohertz gewandelt wird.

Das Editieren

Nachdem die Musiker der Nachbearbeitung zugestimmt haben, mache ich mich dann samt Festplatten-Recorder auf den Weg zum Bodensee, wo Heiner Merk sein Studio betreibt. Über ein Focusrite-Interface gelangen die Daten mit voller Auflösung vom Alesis MasterLink in das Schnittprogramm auf Computer-Basis. Die Mehrzahl der Songs bleibt erfreulicherweise aber unangetastet. Nur bei einigen wenigen bestehen Charles Davis und Sven Götz auf ein paar Schnitten. Diese führt Heiner Merk in Anwesenheit des Flötisten aus, fügt in Absprache mit ihm unterschiedlich lange – und für meinen Geschmack noch immer zu kurze – Pausen zwischen den Liedern ein, rechnet die Daten auf CD-Format herunter und übergibt sie zur Produktion der Firma House of Audio.

Applaus, Applaus

Abschließend noch eine kleine Anmerkung zum Applaus – oder besser – Nicht-Applaus: Die während leiserer Stellen deutlich zu vernehmenden Geräusche des Publikums stören nach Ansicht aller an der Produktion Beteiligten nicht im Geringsten, sie sind bei einer Live-Aufnahme ebenso erwünscht wie unvermeidlich. Dasselbe könnte doch auch für den Applaus und, wie ich finde, für die ebenso humorvollen wie geistreichen Ansagen Charles Davis’ gelten, meinte ich – bis mich der Flötist eines Besseren belehrt: „Beim ersten Hören schmunzelt man bestenfalls über die Ansagen. Beim zweiten beginnt das Reden einen zu langweilen, und beim dritten Mal fängt man an, den Sprechenden zu hassen“. Und so ähnlich sei es mit dem Applaus. So Recht Charles Davis mit dieser Einschätzung haben mag: Für den, der hinter den Reglern sitzt, ist diese Entscheidung alles andere als angenehm. Da das Publikum hier anders als bei klassischen Konzerten nicht bis zum völligen Verebben des letzten Tones ausharrt, bevor es seiner Begeisterung Ausdruck verleiht, macht der Verzicht auf den Applaus die ein’ oder andere etwas abrupte Ausblendung notwendig, wo man vielleicht noch lieber dem Verklingen der feinsten Schwingungen gelauscht hätte. Dennoch bin ich inzwischen davon überzeugt, dass die hier gewählte Variante auf längere Sicht die bessere ist.

P.S.: Über diesen Link gelangt man zur Site von Charles Davis, wo man vier Songs - leider nur in MP3-Qualität - hören und Pathways zum Preis von 15 Euro inklusive Versand in Deutschland bestellen kann

Dienstag, 27 Mai 2014 00:00

Paul Kuhn Trio – Live At Birdland

Analog ist schön …

Dennoch beneide ich die Kollegen schon ein wenig, die fast ausschließlich auf der digitalen Ebene arbeiten. Das geht schon mit dem Transport des Equipments los. Selbst Zweispur-Bandmaschinen sind leider um einiges schwerer als Mehrspur-Digitalrecorder, um von Aufnahmen auf Festplatten mit Hilfe eines Computers samt Interface erst gar nicht zu reden. Dafür verheißt die analoge Zweispuraufnahme aber auf jeden Fall mehr Adrenalin, und zwar beim ersten Mal schon während des Konzerts: Wenn es hier nicht gelingt, eine stimmige Balance zwischen den Instrumenten und der Stimme herzustellen, kann man das gesamte Projekt vergessen. Eine zweite Chance, alles wieder ins Lot zu bringen, bietet auch ein bestens ausgestattetes Studio nicht. Wirklich bedenklich wird es, wenn dann auch ein klein wenig analoger Starrsinn um sich greift: Ungewohnt pragmatisch hätte ich mich fast dazu hinreißen lassen, für den Hall auf Paul Kuhns Stimme einen Lexicon Digitalhall zu verwenden, wurde aber ausgerechnet von unserem Hifistatement-Digital-Spezialisten von diesem Frevel abgehalten, und zwar nicht zuletzt mit dem Versprechen, beim Verbringen des analogen, etwa 70 Kilogramm schweren EMT Goldfolien-Halls in den nur über eine lange Treppe zu erreichenden Jazzkeller behilflich zu sein.

Wer sich schon so viel Mühe mit der Aufnahme gemacht hat, darf sich natürlich auch bei der Erstellung des Masterbandes nicht von seinem Qualitätsanspruch abbringen lassen. Und dabei kann das Temperament eines Vollblut-Entertainers schon mal zum Problem werden. Bei den bisherigen sommelier du son-Produktionen waren Ausführende und Publikum so diszipliniert – oder sollte man besser sagen: so wenig überschwänglich – wie bei einem klassischen Konzert: Man wartete geduldig, bis der letzte Ton verklungen war, bevor man Beifall spendete. Das gibt dem Tontechniker Gelegenheit, Musik und Applaus mit einem Schnitt sauber voneinander zu trennen. Wie aber soll man das tun, wenn Paul Kuhn voll überschäumender Spielfreude beispielsweise noch in den Schlussakkord hinein das Stück kommentiert, beginnt seine Kollegen vorzustellen, oder die Zuhörer schon während der letzten Töne ihrer Begeisterung lautstark Ausdruck verliehen? Mit einem kühnen Schnitt ist es hier nicht getan. Und das Band ganz klassisch einfach zu überspielen und dann im Applaus sanft auszublenden, kam für uns auch nicht in Frage, da jede analoge Überspielung unweigerlich mit einer Qualitätsminderung einhergeht. Also blieb uns nichts anderes übrig, als zumindest den Schluss eines jedes Songs zusammen mit dem Beifall auf ein frisches Tape zu kopieren und dann an der gewünschten Stelle auszublenden. Dann galt es nur noch, eine geeignete, und das heißt hier, auch beim langsamen Bewegen des Bandes per Hand deutlich identifizierbare Stelle zu finden, an der man einen Schnitt setzen konnte. Das Ganze hat logischerweise gleich zweimal zu passieren: einmal im originalen Sessiontape und zum zweiten Mal bei der gerade erstellten Kopie. Zumindest beim Schnitt in das erste Band herrscht nicht der geringste Mangel an Adrenalin im Blut des Ausführenden. Und dieser Zustand bleibt auch eine ganze Weile erhalten: Schließlich bedeuten elf Songs auch elf Schnitte. Das Sessiontape hat schließlich genauso wenig Schaden genommen wie der Schneidende, so dass die Überspielung dieses fantastischen Konzerts auf die Lackfolie – zumindest was die Musik anbelangt – direkt von dem Band stattfinden konnte, das im Birdland in Neuburg aufgezeichnet wurde: ohne Kopierverluste oder Nachbearbeitung.

Und damit ist nur der erste Teil der Herausforderungen beschrieben, die die Fertigung einer Schallplatte für alle Mitwirkenden bereithält. Wie unser Mastering-Fachmann Rinus Honing sowie Udo Karduck und sein Team bei der Pallas damit umgehen, werden wir an anderer Stelle darstellen. Seien Sie aber schon jetzt versichert, dass auch hier gilt, was Karl Valentin so treffend formulierte: Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.

Dirk Sommer
sommelier du son

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Die Linernotes zu Otello

Oper und Jazz? Die Kombination mag auf den ersten Blick irritieren. Ist Oper nicht grellbunte, artifizielle Theatralik? Und ist Jazz nicht das genaue Gegenteil, nämlich spontaner, ehrlicher Ausdruck? Und doch sind die Übergänge fließend. Sagen wir es so: Oper war die Popmusik des 19. Jahrhunderts. Ob der gefeierte Solo-Virtuose oder die Straßen-Blaskapelle: Was sie damals vorzugsweise unter die Leute brachten, das waren Opern-Potpourris. Das galt auch für New Orleans, die multikulturelle Hafenstadt, wo Ende des 19. Jahrhunderts der Jazz entstand. Louis Armstrong hörte in jungen Jahren mit Begeisterung die Schallplatten von gefeierten italienischen Opernstimmen wie Caruso und Galli-Curci und formte sein Trompetenspiel nach ihrem Vorbild. Im Vendome Theater von Chicago blies Armstrong in den Zwanzigern mit der Band von Erskine Tate Melodien von Mascagni und Suppé. In New York schließlich war er einer der Ersten, der die Songs des Broadways in den Jazz brachte. Und was waren diese Bühnensongs im Ursprung anderes als grellbunte, artifizielle Theatralik?

„M’ascolta“, das erste Stück auf dieser Schallplatte, beginnt mit seltsamen Geräuschen. Ihr Urheber ist Patrice Heral, der ins Exzentrische tendierende Schlagzeuger dieses Trios, der nicht nur eine breite Palette an Perkussionsfarben liebt, sondern zuweilen auch seinen Atem und seine Stimme fantasievoll einsetzt. Der Effekt hier hat etwas Psychedelisches – fast so, als ob wir einen Nebel aus Zeit und Raum und Ignoranz durchqueren müssten, um uns Verdis Arien aus einer neuen Perspektive nähern zu können: aus der Perspektive des Jazz nämlich. „Der Jazz ist auch aus Verdi geboren“, sagt Dieter Ilg, der Leiter des Trios und einer der besten Kontrabassisten Europas. Für ihn sind die Verwandtschaften zwischen den harmonischen Wendungen bei Verdi und denen im modernen Jazz unüberhörbar. Sein Trio-Projekt „Otello“, das er 2009 startete, ist daher nur konsequent, kehrt es doch nach oben, was bei Verdi immer schon schlummerte. „Fuoco di gioia“ entfaltet eleganten Groove, „Ave Maria“ wird zur tiefsinnigen Trio-Ballade, „O là“ zu zupackendem Modern Jazz. Und im Schlussstück „Otello“ gibt es Episoden von geradezu bluesiger Intensität.

Bei Dieter Ilgs „Otello“ hört man, dass in Verdi vieles von dem drinsteckt, was später zu Jazz wurde und was Jazz bis heute ausmacht. Es wurde Zeit, dass Jazzmusiker ihr Ureigenes im scheinbar Fremden entdecken: „Wir streicheln Giuseppe Verdis Musik mit unseren Instrumenten“, sagt Dieter Ilg, bekannt als ein Gourmet des Gaumens wie des Ohrs, der einen geradezu arioso singenden Kontrabass zupft. „Diese Musik ist so wunderbar melodisch. Sie ist aufregend und dann wieder beruhigend, sie ist besänftigend und gleichzeitig aufwühlend.“ In Rainer Böhm hat das Trio einen Pianisten, der alle diese verschiedenen Facetten zum Aufglänzen bringt – mal mit sparsamer Geste, mal mit schwelgerischer Fantasie. Das Ergebnis sind Konzentrate aus Leidenschaft und Spannung. Und genau diese verdichtete Emotion ist es, die Verdi und Jazz verbindet: „Das Wichtigste an Otello“, sagt Dieter Ilg, „ist für mich das dramatische Moment der Musik.“

Hans-Jürgen Schaal
Januar 2012

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Im August 2011 nahmen wir in Florian Östreichers Realistic Sound Studio vor etwa 70 geladenen Gästen für Edel:Kultur Joo Kraus und Tales In Tones auf, die sich auf ihrer ausgesprochen erfolgreichen CD Song From Neverland auf jazzige Art mit dem Werk von Michael Jackson auseinandersetzten. Auf dem Programm standen am Aufnahmeabend aber auch Stücke aus der aktuellen CD des Quartetts, Painting Pop. Die Liste der auf der LP enthaltenen Songs dürfte vor allem Freunde der Pop-Musik ansprechen, die Interpretationen der Trompeters und Sängers und seine Trios aber auch für Jazzfans ein Genuss sein.

Hier die kurzen Linernotes:

In The Heat Of The Moment

Jazz entsteht im Augenblick. Und das gilt auch für diese Aufnahme. Besonders intensiv ist der Entstehungsprozess, wenn er vor Publikum stattfindet. Da wir aber auf die technischen Annehmlichkeiten eines Studios nicht verzichten wollten, haben wir kurzerhand etwa 70 Zuhörer in den großen Raum von realistic sound zum Konzert geladen und das, was die Musiker spielten, in Echtzeit auf zwei Stereokänale gemischt und auf Band aufgezeichnet. Und von eben diesem Band ließen wir die Lackfolie für die LP schneiden, die Sie in Händen halten: Authentischer können Sie die Lebendigkeit dieser faszinierenden Musik nicht genießen!

Dirk Sommer

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